Hartwig, Dieter

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Hartwig, Dieter
Großadmiral Karl Dönitz – Legende und Wirklichkeit, Schönigh Verlag Paderborn, September 2010,
ISBN 13-9783506770271, 528 Seiten, 39,90 EUR

Im September 2010 veröffentlichte der bekannte Marinehistoriker und FKpt a.D. Dieter Hartwig sein neuestes Werk: Eine umfassende Darstellung und Bewertung der Person, des Lebens und Wirkens des Großadmirals Karl Dönitz. Seitdem stellte er sein Buch immer wieder auf öffentlichen Veranstaltungen vor, so 2010 u.a. in der Atlantischen Gesellschaft in Bonn, dem Deutschen Marinemuseum in Wilhelmshaven, dem Fischereimuseum in Cuxhaven oder im Mai 2011 bei der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart.

Das Renommee Dieter Hartwigs bedarf keiner weiteren Erläuterung, allein anlässlich seines 60ten Geburtstages 2003 erschien ein Sammelband mit seinen Vorträgen und Texten aus drei Jahrzehnten in der Kleinen Schriftenreihe zur Militär- und Marinegeschichte, Band 6, und sein jüngstes, hier vorgestelltes Werk ist mit Unterstützung des Deutschen Marineinstituts und des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr entstanden.

Hartwig hat sich immer um geboten kritische Geschichtsaufarbeitung bemüht und sich dabei natürlich nicht nur Freunde gemacht, insbesondere wenn seine Aufsätze und Vorträge manchmal überlieferte Geschichtsschreibung hinterfragten, mit schlüssiger Beweisführung an vermeintlichen Traditionen rüttelten und, wie in seinem neuesten Buch, nun mit den Mythen und Legenden um eine der führenden Persönlichkeiten der Marine und des Dritten Reiches ins Gericht gehen. So wird es auch mit seinem Buch über Karl Dönitz sein, die Bewertungen werden von wütendem Verriss wegen des „Denkmalsturzes“ des, so die Thesen, leider eben nicht genialen Befehlshabers der U-Boote, unpolitischen Soldaten und Retters von Millionen von Menschen aus den östlichen Gebieten des zusammenbrechenden Reiches, bis hin zu großem Lob ob seiner so sorgfältigen und fast alle Merkmale dieses Mannes beleuchtenden Untersuchung reichen.

Das Buch nimmt frühere, erste Auseinandersetzungen von Hartwig mit Karl Dönitz, beginnend mit einem Aufsatz in der Ausgabe Dezember 1989 der Zeitschrift des Deutschen Schifffahrtsmuseums, auf und hat diese nun als Ergebnis weiterer Forschungen in Buchform verarbeitet. Damit legt er eine in dieser Form lange vermisste Ge-samtwürdigung von Karl Dönitz vor. Mit 304 Seiten Text, 88 Seiten Anmerkungen und 29 Seiten Dokumenten ist somit ein Werk entstanden, welches nicht nur für die Fortschreibung deutscher Marinegeschichte, sondern auch für die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Deutschlands und seiner führenden Persönlichkeiten einen unverzichtbaren Beitrag liefert.

In sechzehn Kapiteln untersucht Hartwig das Leben und Wirken von Karl Dönitz, angefangen von seiner frühen Marinekarriere, über seine Zeit als Befehlshaber der U-Boote und Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, bis hin zu seinen letzten Jahrzehnten als verurteilter Vertreter des nationalsozialistischen Regimes in Spandau und am Ende als alternder Privatmann in Aumühle.

Somit wird ein Bild von Karl Dönitz gezeichnet, dessen unterschiedliche Facetten noch nie in diesem Umfang zusammengetragen worden sind und nun ein wesentlich fundierteres Urteil über diese Person der Zeitgeschichte erlauben. Und, Hartwigs Nachforschungen bringen viele neue Erkenntnisse, die genügend Grundlagen liefern, bisherige Auffassungen über Dönitz zumindest zu hinterfragen, wenn nicht sogar deutlich zu korrigieren.

Fast alle Bewertungen Hartwigs beruhen auf klaren und belegten Fakten. Diesen zu entgegnen ist schwer und kann sich bestenfalls an der von Hartwig gewählten Gewichtung der Einzelmerkmale für die Gesamtbewertung von Dönitz reiben. Soll nämlich die Generalthese von Karl Dönitz hinsichtlich seiner Fähigkeiten und Leistungen als militärischer Führer gelten, die geprägt seien von unbarmherziger Härte und Entsenden seiner anvertrauten Soldaten in einen immer aussichtsloseren Kampf, von einem Retter der Flüchtlinge über die Ostsee, dessen Beitrag zu dieser Leistung der Kriegsmarine bestenfalls vage Duldung gewesen sein soll, bis hin zu seiner Haltung als vasallentreuer Nationalsozialist mit antisemitischen Tendenzen und einem letzten Lebensabschnitt, der geprägt war vom hartnäckigen, ja unbelehrbaren Bewahren der um seine Person entstandenen Mythen und Legenden, dann scheint in seiner Beweisführung für diese These ein gewisser Mangel im Streben nach Ausgewogenheit unter den einzelnen Teilthesen zu bestehen.

So werden einige Teilthesen durch eine umfangreiche und teilweise fast erschlagende Fülle von Belegen für seine Behauptungen untermauert, während sich andere Teilthesen mit deutlich weniger, ja manchmal nur einem Beleg begnügen müssen. Sofern Hartwig z.B. Zahlen zum U-Bootkrieg nennt, hätte er vielleicht deutlicher auf die in der Literatur doch sehr unterschiedlichen Angaben hinweisen sollen und es wäre sicherlich besser gewesen, seine Beweise für die gnadenlose Härte des Befehlshabers der U-Boote nicht nur auf einige wenige, in einigen Fällen sogar nur einzelne Untersuchungen zu gründen. Gelegentlich stören auch die etwas missionarisch gefassten und sich teilweise wiederholenden Schlussbewertungen zu Dönitz am Ende einiger Kapitel. Es fehlt leider auch ein Kapitel zum allerpersönlichen Dönitz, also wie ging er mit seiner Familie um, wie hielt er es mit seinen Söhnen, beides Marineoffiziere, die im Krieg fielen, ebenso vielleicht, wie ihn Mitarbeiter in seinem Stab empfunden haben.

Kritik an seiner Auswahl und Gewichtung von Nachweisen für seine Beweisführung sowie der bestimmt von Einigen zu erwartende Vorwurf der Unausgewogenheit hin und her – letztlich muss jeder Verfasser aber zu einem Urteil gelangen. Und das tut Hartwig auf seine Art, die es zu respektieren gilt und für das er die eigentlich ergiebigsten Teile seines lesenswerten, ja in jede zeitgeschichtliche Bibliothek gehörende Buch geschaffen hat, nämlich das Anmerkungsverzeichnis und die Dokumentensammlung, für jeden Interessierten ein wahrer Quell für die Bildung eines eigenen und nun hoffentlich revidierten Urteils über den Großadmiral Karl Dönitz.

Ein zweifellos wichtiges und hoffentlich neue Diskussionen anregendes Buch ist damit erschienen, Dieter Hartwig gebührt Dank und Anerkennung für die so detaillierte Aufarbeitung des Lebens und Wirkens von Karl Dönitz als einer der führenden Persönlichkeiten des deutschen Militärs.